Derzeit hört und liest man immer wieder, dass es zu viele Wildschweine gäbe. In einem Beitrag des SWR vom 18.10.2012 bezeichnen Jäger und Landwirte die Wildschweinzunahme als dramatisch und plädieren für eine weitere Verschärfung der Jagd auf das so genannte Schwarzwild. Insbesondere durch großflächige, revierübergreifende Bewegungsjagden mit Dutzenden von Jägern, Treibern und Hunden. Den Tieren soll weiterhin ganzjährig – also ohne jegliche Schonzeit – der Garaus gemacht werden. Gefördert und gefordert wird dieses Szenario auch seitens des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten in Mainz: das aktuelle „Handlungsprogramm zur Reduzierung überhöhter Schwarzwildbestände“ wurde für die Jagdjahre bis 2014 für Rheinland-Pfalz fortgeschrieben.
Akteneinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz
Zahlreiche Natur- und Tierschutzorganisationen, darunter die international bekannte Tierrechtsorganisation PETA Deutschland e.V., schalteten gegen diese Praxis nun einen Rechtsanwalt ein. Dieser hat beim verantwortlichen Ministerium Akteneinsicht nach dem Landesumweltinformationsgesetz beantragt. „Die Tierschutzorganisationen wollen wissen, auf welche Informationen sich das Ministerium bei der umstrittenen Aufforderung zur drastischen Reduzierung der Schwarzwildbestände beruft“, so Rechtsanwalt Dominik Storr, der das Auskunftsersuchen für die Natur- und Tierschützer gestellt hat.
Gilt Tierschutz für Wildtiere nicht?
Die Tierschutzorganisationen werfen dem Ministerium in einem gemeinsamen Schreiben vor, sich bei der „Wildschweinproblematik“ allein von wirtschaftlichen Aspekten und Jagdinteressen leiten zu lassen und dabei den Tierschutz willentlich außen vor zu lassen. Gerade bei großflächigen revierübergreifenden Bewegungsjagden und bei Jagden bei Schneelage, zu denen das Ministerium aufrufe, seien die tierschutzrechtlichen Aspekte, die sich stellten, immens und wegen des Tierschutzgesetzes auch zwingend von dem Ministerium zu beachten.
Nach dem Willen der Landesregierung: Jagd ohne Tabus Bild: Luise Dittombée |
Dies zeige auch eine Stellungnahme der "Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz" (TVT), welche die tierschutzrechtliche Problematik von Bewegungsjagden bestätige: Großflächige Jagden - gerade im Winter - würden nicht nur zu Verletzungen der Tiere führen, sondern auch die Energiereserven der Tiere aufbrauchen, was zur Zunahme von Wildschäden führe. Zudem bestünde die Gefahr, Bachen von ihrem unselbstständigen Nachwuchs zu trennen. Das könne zum leidvollen Erfrieren der Frischlinge führen. Zudem seien bei Bewegungsjagden tödliche Treffer schwieriger, viele Tiere würden „nur“ angeschossen. Statistiken aus Hessen zeigen, dass bei Drückjagden auf Schwarzwild nur etwa ein Drittel mit Blattschuss erlegt werde, der Rest der Strecke weise Waidwund-, Keulen- oder Laufschüsse auf. In der eingangs erwähnten „Aufforderung“ des Ministeriums spielten jedoch all diese Aspekte überhaupt keine Rolle.
Langzeitstudie: Je mehr Jagd, desto mehr Wildschweine
„Rheinland-Pfalz möchte auf allen Gebieten modern, fortschrittlich und innovativ sein. Nur bei der Jagd verschließt sich Rheinland-Pfalz den wissenschaftlichen Fakten“, sagt Harald Hoos von der Initiative „pro jure animalis“, die ihren Sitz in Rheinland-Pfalz hat. Anhand einer im renommierten „Journal of Animal Ecology“ veröffentlichten Langzeitstudie, die auf zahlreiche weitere universitäre Arbeiten und Untersuchungen Bezug nehme, sei es wissenschaftlich belegt, dass der hohe Jagddruck eine wesentliche Verantwortung für die hohe Wildschweinpopulation trägt. Je mehr Jagd auf Wildschweine gemacht werde, desto stärker vermehrten sie sich (Journal of Animal Ecology 2009, 78, 1278-1290).
Zahlen zeigen: Wildschweinjagd in Rheinland-Pfalz ist kontraproduktiv
Anhand der offiziellen Zahlen zeigt Wildtierschutz Deutschland auf, dass dies auch für Rheinland-Pfalz zutrifft. Die Anzahl der getöteten Wildschweine steige dort im langjährigen Durchschnitt trotz einer immer stärkeren Intensivierung der Bejagung kontinuierlich an: in den 1980er Jahren wurden in Rheinland-Pfalz bis zu 25.000 Wildschweine pro Jahr geschossen, in der darauffolgenden Dekade waren es bis über 40.000 und in den 2010er Jahren sogar schon 80.000, Tendenz steigend.
Die Tierschutzorganisationen haben das rheinland-pfälzische Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten aufgefordert, das "Handlungsprogramm zur Reduzierung überhöhter Schwarzwildbestände" umgehend zurückzunehmen.