29.11.2012

Bleifreie Jagdmunition ist unbedenklich

von Cornelia Behm, MdB BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
 
„Das lang erwartete Ergebnis des Forschungsprojektes zur Tötungswirkung von Büchsenmunition ist offenbar eindeutig: Es wurde nach über 11.000 Abschuss- und Laborberichten kein Unterschied zwischen bleihaltiger und bleifreier Munition festgestellt. Damit ist der seit langem geforderte Nachweis, dass die Tötungswirkung bleifreier Munition im Vergleich zu der bleihaltiger Munition aus Tierschutzsicht ausreichend stark ist, erbracht. Damit müsste nunmehr der Weg für das Verbot bleihaltiger Jagdmunition frei sein.“ So kommentiert die Sprecherin für Waldpolitik der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Cornelia Behm, die Ergebnisse des Forschungsprojektes nach Bekanntgabe durch den Deutschen Jagdschutzverband, dem das Agrarministerium die Ergebnisse offenbar exklusiv vorgestellt hat.
 
„Aber der Deutsche Jagdschutzverband ist offenbar ein schlechter Verlierer,“ ergänzt Behm. „Nicht nur, dass er bereits vorsorglich die nächste aufwändig zu untersuchende Frage präsentiert und bei der Bundesregierung durchgesetzt hat. Hinzu kommt, dass er bereits einen Tag später wieder die altbekannten Zweifel von Jägern an der Tötungswirkung bleifreier Jagdmunition streut.“
 
Indizien dafür, dass manche Jäger selbst in Vogelschutzgebieten und an Gewässern keine bleifreie Munition verwenden, wurden erst vor wenigen Tagen wieder im Naturschutzgebiet Petkum an der Ems gefunden 
 
 
„Warum müssen erst noch die Ergebnisse des Projekts ‚Lebensmittelsicherheit von jagdlich gewonnenem Wildbret‘ abgewartet werden?“ fragt Behm. „Wir wissen doch, dass Seeadler und andere Wildtiere an Bleivergiftung sterben, nachdem sie durch Bleimunition belastetes Aas gefressen haben. Warum reicht dem Jagdschutz­verband diese Tatsache in Verbindung mit dem Nachweis, dass weder ein erhöhtes Risiko für Jagdunfälle noch ein Unterschied bei der Tötungswirkung festgestellt werden konnte, nicht als Wissensgrundlage aus? Warum muss erst noch ein weiteres Mal nachgewiesen werden, dass auch Menschen durch Reste von Bleimunition im Wildbret gefährdet werden können? Warum leidet der Jagdschutzverband so sehr unter bleifreier Jagdmunition, dass er auf diese unsägliche Verzögerungstaktik setzt?“
 
„Die Forderung des Jagdschutzverbandes nach Erweiterung der Aussagen zur Ballistik und zur Einsatzentfernung auf der Munitionsverpackung und nach Überarbeitung der gesetzlichen Mindestanforderungen an Jagdmunition ist demgegenüber nachvollziehbar und sollte aufgegriffen werden. Darüber hinaus sollte auch ein Zulassungsverfahrung für Jagdmunition eingeführt werden.“
 

24.11.2012

Bei Drückjagden bleibt der Tierschutz auf der Strecke

In diesen Wochen haben bereits wieder viele Drückjagden in Deutschland stattgefunden.  Das sind meist revierübergreifende Bewegungsjagden, bei welchen oft Dutzende von Treibern mit Ihren Hunden lautstark und mit Knüppeln bewaffnet durch den Wald ziehen und Wildtiere aus ihren Ruhezonen aufscheuchen, um sie den wartenden Jägern vor die Gewehre zu „drücken“. Drückjagden werden in der Regel in Regimentsstärke durchgeführt, um Wildschweine, Rehe oder Hirsche zu jagen.
Lesen Sie im Folgenden Zitate von Jägern und Tierärzten über diese Form der Jagd:
Nachrichten der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT), Arbeitskreis 6 Wildtiere und Jagd, 02/2011:
Ist das Wild in Bewegung sind tödliche Treffer viel schwieriger als bei stehendem Wild anzubringen. … So wurde bei Drückjagden auf Schwarzwild (Anm. Red.: Wildschweine) in Hessen nur etwa ein Drittel mit Blattschuss erlegt, der Rest der Strecke wies Waidwund-, Keulen- oder Laufschüsse auf (Anm. Red.: Bauchschüsse, Rückenmarkverletzungen, Schüsse in Gliedmaßen u.a.). Rehwild wies bei etwa 30 % der männlichen und 60 % der weiblichen Tiere Bauchschüsse auf (Krug, unveröffentlicht).

Flüchtendes Rehwild kann aufgrund der arttypischen Bogensprünge nicht sicher getroffen werden.

Der Einsatz von Hunden kann zu starker Beunruhigung vieler Wildarten führen. Besonders tierschutzrelevant ist, wenn Hunde gesundes Wild angreifen.
„Störung des Schalenwilds (Anm. Red.:  Rehe, Wildschweine, Hirsche u.a.) im Winter … führen zu energiezehrenden Fluchten und verschlechtern die Energiebilanz im Körper. Dies hat zur Folge, dass die fehlende Energie durch Schäle und Verbiss im Wald ausgeglichen werden muss. Stressende Jagden nach der Umstellung der Verdauung im Januar bewirken daher trotz Wildverminderung drastisch steigende Schäden am Wald …

Bei der Durchführung von Bewegungsjagden im Hochwinter ist die Gefahr, eine Bache, die bereits gefrischt hat …  zu erlegen, erhöht. Darüber hinaus kann das Wild aus Zeitmangel oft nicht sicher angesprochen werden, denn realistischer Weise muss die Entscheidung zum Schuss schnell fallen (Anm. Red.: ansprechen bedeutet: der Jäger muss sich vor dem Schuss zunächst über die Tierart, das Geschlecht, das Alter, den Zustand des Tieres sicher sein). Auch durch das langhaarige Winterfell (Schwarte) … und die Witterungs- und Vegetationsbedingungen … wird das sichere Ansprechen erschwert, z.B. das Gesäuge der Bache zu erkennen. Außerdem besteht die Gefahr, Bachen von ihrem unselbständigen Nachwuchs zu trennen. Das kann zum Erfrieren der Frischlinge innerhalb weniger Stunden führen.
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Bild: Sanny Schulz
Wild und Hund 1/2010, Chefredakteur Heiko Hornung unter der Überschrift „Totmacher“ über revierübergreifende Bewegungsjagden:
•   Ist das noch Jagd oder geht es hier um Schädlingsbekämpfung?
•   Sauberes Ansprechen: Fehlanzeige
•   Der beschossene Fuchs …. Nachgesucht wird er eh nicht.
•   Hauptsache totgemacht.
•   Das Wild leidet still und verludert in der Dickung.
•   Jagd wird zum Schieß-„Event“.
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Karl-Heinz Kuckelkorn, Pressesprecher der Kreisjägerschaft, Jagdberater der Städteregion und Ausbilder angehender Waidmänner in Az-web.de am 21.10.2010:
Aus Gründen des Tierschutzes sei diese Art der Bejagung «mehr als bedenklich».
Dort (Anm. Red.: in privaten Jagdrevieren) werde das Wild «beunruhigt» und in Richtung der Schützen getrieben. An ihnen vorbei flüchten die Tiere wie in Panik. Es fallen viele Schüsse, doch längst nicht jeder Schuss ist ein finaler. Etliche Tiere werden nur verletzt und verenden später qualvoll irgendwo im Dickicht, es werden ihnen Gliedmaßen abgeschossen oder sie laufen nur mehr verkrüppelt herum, weiß Kuckelkorn aus langjähriger Erfahrung.

Hinzu komme die Gefahr, eines oder mehrere Leittiere zu töten, ein Verlust, der Struktur und Rangordnung eines Rudels über den Haufen wirft. «Wenn die Tiere an mir vorbei rennen, kann ich nicht erkennen, welches ein Leittier ist und welches nicht.»
Das Risiko, ein Tier bei einer Drückjagd nur zu verletzen, sei sehr hoch. Ein solches Risiko müsse niemand eingehen.
Werden Wildtiere beunruhigt und fliehen, ist ihr Adrenalinausstoß so groß, dass die Qualität des Fleisches gemindert wird.
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Jagdopfer
Jagdpächter Kerbl wehrte sich gegen eine Drückjagd, denn laut Aussage eines Wildbrethändlers aus dem Altöttinger Bereich blieben zwar bei einer Drückjagd im Landkreis Altötting, durchgeführt vom Staatsforst, 98 Rehe auf der Strecke aber nur 40 waidmännisch geschossen.
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Im Südkurier vom 30.12.2011 schreibt ein langjähriger Jäger:
In dem kleinen Revier mit circa 150 Hektar hat das von Jagdhunden gejagte Rehwild bei einer dicht platzierten Schützenkette kaum noch Chancen, unbeschossen durchzukommen. Es ist für den Jäger schwierig, in Sekunden zu erkennen (ansprechen), ob es sich um eine Geiß, oder ein Schmalreh (1,5 Jahre) oder um einen abgeworfenen Rehbock (Rehbock ohne Gehörn) oder um Rehkitze handelt. Daher kommt es vor, dass Fehlschüsse getätigt werden. Ein gezielter, schnell tödlicher Schuss, was des Jägers Pflicht sein soll, ist daher nicht immer möglich. Abgegebene Schüsse in Keulen, Läufe oder Weichteile bleiben nicht aus, das Rehwild erleidet dadurch erhebliche Schmerzen.
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16.11.2012

Belohnung

Seit Jahren setzt sich in Ostfriesland an der Ems die „Gänsewacht“ dafür ein, dass Brandgänse, Graugänse, Säbelschnäbler und viele zum Teil auch bedrohte Zugvogelarten an ihren Rast- und Ruheplätze am Petkumer Deichvorland nicht durch die Jagd gestört werden.  Oft scheint es ein Kampf gegen Windmühlen zu sein; die Windmühlenbetreiber sind häufig genug die jagenden Honoratioren der lokalen Gemeinden. Nun verdächtigt der Bürgerverein die Tier- und Naturschützer, einen „anstößigen“ Aufkleber an diversen Schautafeln im EU-Vogelschutzgebiet angebracht zu haben. Die Gänsewacht tritt den Verdächtigung mit nachfolgendem Plakatinhalt entgegen:

 
Während der vergangenen Tage wurde wiederholt die Anbringung waidmannsfeindlicher Aufkleber im Petkumer Gänsejagdgebiet festgestellt. Hierbei wurde die Vermutung geäußert, dass diese feigen, unbeobachteten und unangekündigten Anschläge auf die Waidselbstgerechtigkeit durch subversive Elemente aus dem Umfeld der „Gänsewacht“ verübt worden seien.

Um diesen verleumderischen Vorwürfen entgegenzutreten und die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden zu unterstützen, setzt die „Gänsewacht“ eine Belohnung von

100,00,- EUR*

für sachdienliche Hinweise aus, die zur Ergreifung des Täters führen.

Beschreibung des Aufklebers:
Abb: unbekannter Aufkleber
Der Aufkleber ist schwarz, welches jedoch augenscheinlich großflächig mit weiß und rot überdruckt wurde. Zu erkennen ist weiterhin eine bewaffnete Person, die mit einem Gewehr auf ein „e“ zielt, so wie drei fliegende Trauerschwäne (Cygnus atratus). Beschriftet ist der Aufkleber mit
 
„Vogelmord ist ihr Hobby — Stoppt die Gänsejagd!“

 Sollten Sie eine Person bei der widerrechtlichen Anbringung dieses Aufklebers beobachten, so informieren Sie umgehend die Polizei und nutzen Sie bitte die Zeit bis zu deren Eintreffen, um ein Phantombild des Täters anzufertigen. Dies kann sich ggfs. Als hilfreich erweisen, falls die Polizei sich mangels Gummistiefeln zu einer Verfolgung und Festnahme des Täters außerstande sehen sollte.

*Jagdausübungsberechtigte, Volltrunkene so wie Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Ebenso Selbstportraits beim Aufkleberaufkleben mit anschließender Selbstanzeige. Bei mehreren Beobachtern ein und desselben Aufkleber-Vorfalls entscheidet das Los. Der Teilnehmer erklärt sich mit der Weitergabe seiner personenbezogenen Daten an russische Partnervermittlungen, chinesische Werbeagenturen und nigerianische Investmentgesellschaften einverstanden. Die Auszahlung der Belohnung erfolgt nach rechtskräftiger Verurteilung des Täters.

Weitere Informationen gibt’s hier:
- Gänsejagd im EU-Vogelschutzgebiet
- Aufregung wegen Aufkleber

14.11.2012

Tierleid - im Namen der Kirche

Ein Ausflug ins kurze Leben unserer Hausgänse:

„Man stelle sich vor, am Ende eines jeden Jahres verschwinden sämtliche Einwohner Baden-Württembergs von der Bildfläche. Das ist genau das zahlenmäßige Ausmaß der Katastrophe, die der Mensch jedes Jahr allein in Deutschland unter den Gänsen anrichtet.“ Der Tierarzt Dr. Hansjörg Schilling, Vorstandsmitglied des Vereins Leben bewahren zum Schutz von Umwelt, Natur und Tieren und ihrer Rechte international, rechnet es vor: „Rund zehn Millionen Gänse landen jedes Jahr zwischen November und Weihnachten auf deutschen Tellern – kluge, empfindsame und äußerst soziale Tiere, die in Einehe leben und bis zu 20 Jahre alt werden können. In deutschen oder polnischen Ställen bekommen sie jedoch, je nach Haltungsart, schon nach drei oder sechs Monaten einen Schlag mit dem Knüppel auf den Kopf und gleich anschießend einen Stich in den Hals.“
 
Besonders empörend und scheinheilig sei es, diese Mordaktion an fühlenden Mitgeschöpfen auch noch mit religiöser „Tradition“ zu „begründen“, besser gesagt zu verbrämen, so der Tierarzt weiter. „Der alte germanische Herbst-Schlachttag (und mittelalterliche Abgabentag) Anfang November wird bis heute im Namen des ‚heiligen Martin’ weitergeführt und die Gans zur ‚Martinsgans’ erklärt. Die Kirchen haben schon immer dem unbegrenzten Töten von Tieren ihren Segen erteilt.“ Besonders absurd und zynisch sei der dreiste Rechtfertigungsversuch des herbstlichen Tiermassakers durch die Aussage, Gänse hätten Martins Aufenthaltsort durch ihr Geschnatter „verraten“ und müssten nun dafür „bestraft“ werden, das heißt, mit dem Leben bezahlen, und das in alle Ewigkeit!
 

Wie unsere Hausgänse werden auch wildlebende Graugänse Partner für's Leben.
Bild: Wattenrat.de
 
 
„Der 11. November läutet alle Jahre wieder ein unvorstellbares Schlachten an den Tieren ein. Gerade die großen Feiertage sind zu den größten Schlachttagen und zu Schreckenstagen für die so genannten ‚Nutztiere’ verkommen. ..Deshalb der Appell: Lasst die Gänse leben!
 
Nähere Informationen: www.leben-bewahren.org
 

11.11.2012

Stenkelfeld auf dem Hochsitz

Filmbeitrag vom NDR mit Ernst Dieter Lueg
 

Reporter:
Eine paradiesische Ruhe umgibt das Hachmannsfelder Gehölz hier in der ersten Morgendämmerung. In wenigen Minuten wird über einem der gepflegtesten Wälder Nordeuropas die Sonne aufgehen. Neben mir auf dem Hochsitz des Hegering 2 ein Mann, der maßgeblichen Anteil am Erhalt [Geräusch von Schüssen] dieser ökologischen Musterlandschaft hat: Es ist der Forstbiologe und gleichzeitige Pressesprecher der Stenkelfelder Jagdgemeinschaft, Manfred von Lausitz-Ölpen. Soeben wurden wir Ohrenzeugen seines Arbeitsalltags, jetzt schaut der durch sein Fernglas. Herr von Lausitz-Ölpen, auf wen oder was haben sie soeben angelegt?
 
 
Ja, ja ... hier geht es um's ökologische Gleichgewicht
 
Wenn Sie einen noch facettenreicheren Eindruck vom Schaffen der Jagd erhalten möchten, empfehlen wir Ihnen auch "Halali oder Der Schuss ins Brötchen" mit vielen namhaften deutschen Schauspielern.
 

10.11.2012

Mario Natale: Das Märchen vom Fuchs

Hier bestellen
Fast jeder kennt sie, die Märchen vom listigen Fuchs. In der Regel schneidet der Beutegreifer dort recht gut ab. Mario Natale präsentiert ein „Neuzeitliches Fuchsmärchen“, in dem er die in den Medien verbreiteten Schauer- und Lügenmärchen aus konservativen Jägerkreisen über den Fuchs aufgreift, die ein gegensätzliches Ziel verfolgen: Unwahrheiten, wie beispielsweise Thesen über gesundheitliche Risiken, die von dem Fuchs angeblich ausgehen, sollen Argumente für die umstrittene Bejagung liefern.
 
Macht sich auch gut unter'm Weihnachtsbaum
 
 
Der Autor Mario Natale hat eine berufliche Laufbahn absolviert, die ihn u.a. über eine Zeit als Berufsjägerlehrling und Staatsförsteranwärter hin zum kommunalen Forstbeamten führte, den Beruf, den er heute in einer saarländischen Kreisstadt ausübt.
 
Erschienen im Geistkirch Verlag, ISBN 978-3-938889-21-3 | 40 Seiten | 19 sw-Illustrationen | Hardcover | Format 21 x 21 com | EUR 12,80  |  Hier bestellen.
 

09.11.2012

Jagd ist nicht die Lösung des Problems, sondern eine Ursache

FR-Interview vom 5.11.2012
 
Herr Kauertz, Sie plädieren für eine Einschränkung der Jagd, um die Population von Wildtieren gering zu halten. Das klingt widersprüchlich.
Im ersten Moment schon. Aber durch intensive Bejagung werden die sozialen Strukturen der Tiere zerstört. Das führt zu einer erhöhten Vermehrung.
 
Wie können soziale Störungen zu einer erhöhten Vermehrung führen?
In einer Wildschweingruppe beispielsweise gibt es stets eine Leitbache, das ist sozusagen das Leitweibchen. Sie ist quasi für die Reproduktion in dem Familienverbund zuständig. Wahrscheinlich über Hormone, die sich ausstößt, regelt sie die Fruchtbarkeit der anderen weiblichen Tiere innerhalb der Gemeinschaft. Die Leitbache sorgt dafür, dass die übrigen Weibchen nur zu einem bestimmten Zeitpunkt oder überhaupt nicht fruchtbar sind.
 
Wird das weibliche Leittier erlegt, gerät also diese Geburtenkontrolle durcheinander?
Genau. Ohne Leitbache fehlt die Ordnungsmacht.  Alle weiblichen Tiere innerhalb der Gruppe können sich unkontrolliert vermehren. Langzeitstudien belegen sehr deutlich, dass eine stärkere Bejagung auch mit einer stärkeren Vermehrung einhergeht.
 
Trifft dies auch auf andere Wildtiere zu?
Ja. Ein weiteres Beispiel sind Füchse, die ebenfalls sehr soziale Tiere sind. Durch Jagd, aber auch Krankheit, werden die Würfe der einzelnen Weibchen größer und mehr weibliche Tiere nehmen an der Vermehrung teil. Sie überkompensieren die Verluste in der Gruppe. Auch hier belegen Studien, dass in Arealen, wo nicht gejagt wird, die Anzahl der Nachkommen wesentlich geringer ist als in bejagten Revieren.
 
Die Jagd ist also nicht die Lösung des Problems, sondern seine Ursache.
Ja, die Jagd führt nicht zur nachhaltigen Bestandreduzierung. Sie trägt vielmehr zu einem hohen Bestand einzelner Tierarten bei. Es gibt aber auch weitere Gründe für einen Anstieg insbesondere der Wildschwein-Population: In milden Wintern sterben weniger Jungtiere. Zudem führen Klimaveränderung,  Landwirtschaft (Maisanbau) und ganzjährige Fütterungen durch Jäger dazu, dass den Tieren ein reichhaltiges Futterangebot zur Verfügung steht. 
 
Was wäre die Lösung? Völliger Verzicht auf die Jagd?
Die intensive Jagd ist  - wie die Zahlen belegen -  nicht geeignet, den Bestand zum Beispiel der Wildschweine zu reduzieren. Eine Konsequenz daraus würde die Aufgabe der Hobbyjagd bedeuten. Allerdings wollen die Jäger das nicht einsehen.
 
Man könnte in bestimmten Situationen durchaus über Empfängnisverhütung für Wildschweine nachdenken.
Bild: Dave Pape
 
 
Wenn aber nicht die Jagd, was hilft dann?
Auch die Tierschützer haben keine Patentlösungen, aber es gibt viele Ideen, die bisher nicht umgesetzt wurden.
 
Zum Beispiel?
Absolute Jagdruhe von Januar bis September anstelle von ganzjähriger Störung der Wildtiere und großräumige jagdfreie Gebiete. Dazu der Verzicht auf Bewegungsjagden mit Dutzenden von Jägern, Treibern und Hunden. Dadurch gerät nicht nur ein ganzes Revier in Unruhe, es werden auch wichtige Sozialstrukturen  von Wildtieren zerstört.   Auch kann man über Empfängnisverhütung für Wildschweine nachdenken.
 
Eine Empfängnisverhütung für Wildschweine klingt eher schwer durchführbar.
Zugegeben, die Sache ist nicht ganz ausgeforscht, aber es wäre machbar. Die Impfstoffe gibt es, sie haben EU-Zulassung z.B. für die Kastration von Ferkeln. Vor allem für den Grüngürtel um Großstädte herum könnte es eine gute Lösung sein.
 
Das Interview führte Falk Ruckes für die Frankfurter Rundschau, hier der Link.
Mehr über Wildschweine erfahren Sie hier

07.11.2012

Jagd verfehlt ihren Auftrag auch bei Waschbären

„Die Jagd verfehlt ihren selbst erteilten Auftrag einer Bestandsregulierung von Wildtieren vollkommen,“ führt Lovis Kauertz, Mitbegründer von Wildtierschutz Deutschland, aus. Nicht nur die Anzahl der Wildschweine steige in Deutschland seit Jahrzehnten kontinuierlich an, auch die der auf den ersten Blick possierlichen Waschbären. Diese gab es bis in die 1950er Jahre fast ausschließlich in Nordhessen. Inzwischen haben sie sich trotz intensiver Bejagung im gesamten Bundesgebiet verbreitet.
 
Die jagdliche Regulierung des Bestandes der Waschbären hält auch der Amtsleiter des Nationalparkamts Müritz, Ulrich Meßner, für aussichtslos und lehnt eine Bejagung der Tiere im Nationalpark ab. Dass die Bejagung kein Allheilmittel darstelle, machen Zahlen deutlich, die von der Arbeitsgruppe Wildtierforschung Tharandt der Technischen Universität Dresden im Rahmen eines mehrjährigen wildbiologischen Forschungsprojektes im Müritz-Nationalpark erhoben wurden.
 
Die Jagd ist auch beim Waschbären keine Lösung.
Bild: Quartl
 
 
Gemäß einer Berechnung der Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden müssten Jäger etwa neunmal so viele Waschbären töten wie bisher, damit sich ein jagdlicher Eingriff überhaupt reduzierend auswirke. Laut Kauertz wären das dann jedes Jahr etwa 630.000 Tiere – ein wohl unmögliches Unterfangen, zumal die Tiere dämmerungs- und nachtaktiv sind.
 
Für Haus- und Grundeigentümer stellt der Förderverein des Müritz-Nationalparks aktuell ein Faltblatt mit dem Titel „Wie schütze ich mein Haus und Grundstück vor Waschbären“ zur Verfügung. Man erfährt wie man sein Haus und seine Obstbäume wirksam gegen Waschbären schützt und dem bebrillten Genossen das Leben im Bereich von Wohnsiedlungen ungemütlich macht.
 
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03.11.2012

Winzer jammern: Millionenschäden durch Wildtiere?

Mal sind es die Landwirte, heute wieder einmal die Winzer: man befürchte in den Weinlagen Wildschäden in Millionenhöhe! Die Anzahl der Wildschweine und damit einhergehende Schäden seien viel zu hoch. Die Jagd werde ihrer Aufgabe der Bestandsregulierung nicht gerecht.  
„Was ist das für ein Szenario, welches da Jahr für Jahr an die Wand gemalt wird?" Diese Frage stellt sich Lovis Kauertz von Wildtierschutz Deutschland. Die Probleme seien Großteils hausgemacht, die Schäden viel geringer als Lobbyisten uns das weißmachen wollen und Lösungsansätze gebe es ebenfalls.
Es geht um einen Minderprofit von 0,2 Prozent
Doch eines nach dem anderen: Fällt eine Wildschweinrotte in einen Wingert ein, so kann das ganz empfindliche finanzielle Schäden nach sich ziehen. Mitunter ist die Arbeit eines ganzen Jahres dahin. Was für den einzelnen Winzer eine Katastrophe ist, muss man allerdings relativieren. Beispiel Rheinland-Pfalz: der Weinbau befürchtet für 2012 Schäden in Millionenhöhe – sagen wir mal 2 Millionen Euro. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn die Schäden werden nicht zentral erfasst. In Rheinland-Pfalz werden ca. zwei Drittel des deutschen Weines produziert. Das entspricht in 2012 einer Menge von etwa 6 Millionen Hektolitern. Bei einem Preis von durchschnittlich € 200 pro Hektoliter hat die rheinland-pfälzische Jahresproduktion einen Wert von 1,2 Milliarden Euro. Die durch Wildschweine erwarteten Schäden betragen demnach im größten deutschen Weinanbaugebiet weniger als 0,2 % der Produktion.
Um es etwas zugespitzt zu formulieren: Für eine potentielle Ertragssteigerung von gerade einmal 20 Cent auf 100 Euro müssen in Rheinland-Pfalz jedes Jahr etwa 60.000 Wildschweine sterben – und das unter zum Teil tierschutzwidrigen Bedingungen. Und selbst die 20 Cent Profitsteigerung können nicht einmal annäherungsweise erreicht werden. Denn die Jagd auf Wildschweine ist trotz aller Intensivierungsbemühungen der letzten Jahre vollkommen ineffizient, was auch die Anzahl der erlegten Tiere veranschaulicht: in den 1980er Jahren wurden in Deutschland durch die Jagd pro Jahr bis zu 240.000 Wildschweine (in Rheinland-Pfalz bis zu 25.000) getötet, in der darauffolgenden Dekade bis über 400.000 (RP 40.000) und in den 2000er Jahren wurde erstmals die Marke von 600.000 Tieren (RP 80.000) überschritten – Tendenz weiter steigend.
Mehr Jagd  -  mehr Wildschweine
Die gefühlte Zunahme der Wildschweinbestände   - genaue Bestandszahlen gibt es nicht, Wildschweine lassen sich nicht zählen -   hat verschiedene Gründe. Die wohl bedeutendsten sind das Nahrungsangebot und die Jagd selbst. Die Tiere finden leichter Nahrung, weil die Natur möglicherweise aufgrund klimatischer Veränderungen mehr hergibt, weil die landwirtschaftlichen Strukturen reichhaltiges Futter bieten und last but not least, weil Jäger durch ganzjähriges Zufüttern (zu einem großen Teil illegal – aber eben nicht kontrolliert) und das Anfüttern zur Jagd signifikant dazu beitragen. Durch die gute Ernährung wird eine höhere Reproduktion der Wildtiere und eine geringere Sterblichkeit gefördert.  
Wildschweine haben untereinander eine starkes Sozialgefüge, welches in einem unbejagten Bestand dafür sorgt, dass es nicht zu unkontrollierter Vermehrung kommt. Genau diese soziale Ordnung aber wird durch die Jagd, wie sie in Deutschland betrieben wird, auf den Kopf gestellt. Eine Langzeitstudie, die 2009 im renommierten Journal of Animal Ecology erschienen ist, kommt zu den Schluss, dass in wenig bejagten Gebieten die Geburtenzahlen der Wildschweine viel geringer sind, als in intensiv bejagten Revieren.  
Der durch die Wildsau verursachte Gesamtschaden ist relativ gering 
und jagdliche Maßnahmen vollkommen ineffizient
Bild: Andreas Klein
Es gibt Lösungsansätze
„Ich sehe diverse Ansatzpunkte, die Situation zu entschärfen, sowohl aus Sicht der Winzer wie aus der der Jäger und der Tierschützer," erläutert Kauertz. Ein Lösungsansatz sei die Änderung der Regelung von Entschädigungsleistungen für betroffene Winzer. Heute werde der Jagdpächter zur Entschädigung herangezogen, auch hier mit der möglichen Konsequenz eines „Totalschadens". Die Erstattung der Kosten durch einen Wildschadensfond, gespeist mit relativ kleinen Beträgen aus der gesamten Winzerschaft könnte dazu beitragen, den Weinbauern einen wesentlichen Teil des Verlustrisikos zu nehmen und die Jäger aus der Verantwortung dafür zu entlassen.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt wäre des Weiteren die Einschränkung der teilweise ganzjährigen Jagd auf drei bis vier Monate im Jahr. Ebenso sei das Verbot von häufig tierschutzwidrigen Bewegungsjagden mit Dutzenden von Jägern, Hunden und Treibern erforderlich. Damit wäre auch dem Tierschutz gedient. Insgesamt würden weniger Tiere während der Jagd nur verletzt werden und das Wild in seiner Gesamtheit würde weniger Störungen ausgesetzt. Die durch eine intensive Jagd provozierte Reproduktion könne gebremst werden. Auch auf die Anzahl der Verkehrsunfälle mit Wildbeteiligung würde sich eine weniger intensive Jagd möglicherweise positiv auswirken können. Wanderbewegungen werden häufig durch die Jagd verursacht, sei es, dass Tiere auf der Flucht sind oder sei es, dass leergeschossene Reviere neu besetzt werden.
Kauertz ist sich sicher, dass mittelfristig daraus keine Explosion des Wildschweinbestandes resultiere. Die Bestände würden sich vielmehr stabilisieren oder sogar zurückgehen. In Problemzonen, zum Beispiel in den Grüngürteln der Städte, könne man darüber hinaus über Schwarzkittel-Empfängnisverhütung nachdenken. Schließlich seien die EU-zugelassenen Impfstoffe dazu aus der Ferkelzucht vorhanden. Der Vorsitzende des Vereins Wildtierschutz Deutschland sieht auch Vorteile für die Jägerschaft. Erfolgsdruck und Schadenrisiko würden genommen, durch die Verabschiedung von der Jagd als Bestandsregulativ könne dieses Thema nicht mehr am Image der Jäger nagen und eine 8-monatige Jagdruhe steigere schließlich die Vorfreude auf die Jagd im Herbst des Jahres.