09.11.2012

Jagd ist nicht die Lösung des Problems, sondern eine Ursache

FR-Interview vom 5.11.2012
 
Herr Kauertz, Sie plädieren für eine Einschränkung der Jagd, um die Population von Wildtieren gering zu halten. Das klingt widersprüchlich.
Im ersten Moment schon. Aber durch intensive Bejagung werden die sozialen Strukturen der Tiere zerstört. Das führt zu einer erhöhten Vermehrung.
 
Wie können soziale Störungen zu einer erhöhten Vermehrung führen?
In einer Wildschweingruppe beispielsweise gibt es stets eine Leitbache, das ist sozusagen das Leitweibchen. Sie ist quasi für die Reproduktion in dem Familienverbund zuständig. Wahrscheinlich über Hormone, die sich ausstößt, regelt sie die Fruchtbarkeit der anderen weiblichen Tiere innerhalb der Gemeinschaft. Die Leitbache sorgt dafür, dass die übrigen Weibchen nur zu einem bestimmten Zeitpunkt oder überhaupt nicht fruchtbar sind.
 
Wird das weibliche Leittier erlegt, gerät also diese Geburtenkontrolle durcheinander?
Genau. Ohne Leitbache fehlt die Ordnungsmacht.  Alle weiblichen Tiere innerhalb der Gruppe können sich unkontrolliert vermehren. Langzeitstudien belegen sehr deutlich, dass eine stärkere Bejagung auch mit einer stärkeren Vermehrung einhergeht.
 
Trifft dies auch auf andere Wildtiere zu?
Ja. Ein weiteres Beispiel sind Füchse, die ebenfalls sehr soziale Tiere sind. Durch Jagd, aber auch Krankheit, werden die Würfe der einzelnen Weibchen größer und mehr weibliche Tiere nehmen an der Vermehrung teil. Sie überkompensieren die Verluste in der Gruppe. Auch hier belegen Studien, dass in Arealen, wo nicht gejagt wird, die Anzahl der Nachkommen wesentlich geringer ist als in bejagten Revieren.
 
Die Jagd ist also nicht die Lösung des Problems, sondern seine Ursache.
Ja, die Jagd führt nicht zur nachhaltigen Bestandreduzierung. Sie trägt vielmehr zu einem hohen Bestand einzelner Tierarten bei. Es gibt aber auch weitere Gründe für einen Anstieg insbesondere der Wildschwein-Population: In milden Wintern sterben weniger Jungtiere. Zudem führen Klimaveränderung,  Landwirtschaft (Maisanbau) und ganzjährige Fütterungen durch Jäger dazu, dass den Tieren ein reichhaltiges Futterangebot zur Verfügung steht. 
 
Was wäre die Lösung? Völliger Verzicht auf die Jagd?
Die intensive Jagd ist  - wie die Zahlen belegen -  nicht geeignet, den Bestand zum Beispiel der Wildschweine zu reduzieren. Eine Konsequenz daraus würde die Aufgabe der Hobbyjagd bedeuten. Allerdings wollen die Jäger das nicht einsehen.
 
Man könnte in bestimmten Situationen durchaus über Empfängnisverhütung für Wildschweine nachdenken.
Bild: Dave Pape
 
 
Wenn aber nicht die Jagd, was hilft dann?
Auch die Tierschützer haben keine Patentlösungen, aber es gibt viele Ideen, die bisher nicht umgesetzt wurden.
 
Zum Beispiel?
Absolute Jagdruhe von Januar bis September anstelle von ganzjähriger Störung der Wildtiere und großräumige jagdfreie Gebiete. Dazu der Verzicht auf Bewegungsjagden mit Dutzenden von Jägern, Treibern und Hunden. Dadurch gerät nicht nur ein ganzes Revier in Unruhe, es werden auch wichtige Sozialstrukturen  von Wildtieren zerstört.   Auch kann man über Empfängnisverhütung für Wildschweine nachdenken.
 
Eine Empfängnisverhütung für Wildschweine klingt eher schwer durchführbar.
Zugegeben, die Sache ist nicht ganz ausgeforscht, aber es wäre machbar. Die Impfstoffe gibt es, sie haben EU-Zulassung z.B. für die Kastration von Ferkeln. Vor allem für den Grüngürtel um Großstädte herum könnte es eine gute Lösung sein.
 
Das Interview führte Falk Ruckes für die Frankfurter Rundschau, hier der Link.
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