19.01.2013

Zwangsbejagung - offener Brief an Bundesministerin Aigner


Das Ministerium der Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner hat als Antwort auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Zwangsbejagung einen Entwurf zur Novellierung des Jagdgesetzes vorgelegt. Sowohl aus der Sicht Betroffener als auch vieler Tier- und Naturschutzorganisationen ist dieser vollkommen unzureichend. Lesen Sie dazu nachfolgend den offenen Brief des Weinguts und Biohotels Gänz aus Hackenheim / Rheinland-Pfalz:

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Aigner,

bei Durchsicht der von Ihrem Ministerium entworfenen Überarbeitung des Jagdgesetzes anlässlich der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 26.06.2012 müssen wir zu dem Schluss kommen, dass Sie bei Ihrer Ausarbeitung offenbar nicht die Positionen der direkt betroffenen Anspruchsgruppe gehört und eingebunden haben: nämlich jene Grundstücksbesitzer, denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausdrücklich das Recht eingeräumt hat, dass sie die Bejagung ihrer Flächen per Gesetz nicht dulden müssen, sofern sie dies aus ethischen Gründen nicht möchten. Zu jenen Grundstücksbesitzern gehören als landwirtschaftlicher Gemischtbetrieb auch wir. Die zahlreichen Einschränkungen und Bedingungen, die in Ihrem Entwurf an eine jagdliche Befriedung der Flächen geknüpft werden, zeigen, dass hierbei nicht in erster Linie eine klare Umsetzung des Auftrags vonseiten des EGMR im Mittelpunkt stand, sondern vielmehr eine Verwässerung der EGMR-Entscheidung zugunsten der Jagd-Befürworter verfolgt wurde. Diese eindeutig einseitige Sichtweise wird in zentralen Punkten des Gesetzesentwurfes deutlich:

Unverhältnismäßige finanzielle Belastungen für Grundstückseigentümer So wird die Erfüllung eines Menschenrechts nach der Europäischen Menschenrechtskonvention an erhebliche, unverhältnismäßige finanzielle Belastungen gebunden:

Danach sollen wir Schadensersatz an den Jagdpächter bezahlen, damit unsere Grundstücke unmittelbar jagdlich befriedet werden können – und nicht erst nach Ablauf des Pachtvertrags, der in der Regel auf viele Jahre geschlossen wird. Dies kommt einem entgeltlichen Erwerb von Menschenrechten, die eigentlich bedingungsloses Recht darstellen, gleich.

Ebenso sollen wir für alle sogenannten Wildschäden im gesamten zugehörigen Jagdrevier finanziell in Verantwortung genommen werden können. Dies kommt einer Bestrafung für unsere Wahrnehmung von Menschenrechten gleich, die zudem auch wissenschaftlich völlig unbegründet ist, da es keinerlei stichhaltige Beweise dafür gibt, dass eine jagdliche Befriedung unserer Flächen zu vermehrten Wildschäden auf anderen Flächen führen soll. Hinzu kommt, dass eine pauschale Einordnung der Einwirkungen der Wildtiere in ihrem Lebensraum als “Schaden” jeder wissenschaftlichen und unparteiischen Betrachtung entbehrt. Dass im Gesetzestext an dieser Stelle von “Wildschäden” gesprochen wird, zeigt deutlich, dass beim Entwurf nur eine Interessenseite ernsthaft gehört wurde: Vertreter der Land- und Forstwirtschaft, die die heimischen Wildtiere als Schädlinge betrachten und legitime Natureinwirkungen – vergleichbar mit Wettereinflüssen – entgeltet sehen möchten, sowie Vertreter der Jagdbefürworter, die sogenannte Wildschäden als Legitimation für ihr Handeln voranstellen. Dass diese Einwirkungen der heimischen Wildtiere aus wildbiologischer Sicht und von Seiten des Naturschutzes eine andere Bewertung erfahren, wird in Ihrem Entwurf völlig außer Acht gelassen. Auch wird übergangen, dass ein erhöhter Jagddruck bei verschiedenen Arten in der schlussendlichen Folge sogar die Entstehung und Vermehrung von Wildschäden auf landwirtschaftlichen Kulturflächen zu verantworten hat. Auch hierfür können die Ökologie und Biologie hinreichende Erklärungen geben. Von einem Solidaritätsgedanken hinsichtlich der Wildschadenregulierung kann daher keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich hier bei diesem Entwurf um einen Diskriminierungsgedanken gegenüber Grundstückseigentümern, die einer Bejagung auf ihren Grundstücken aus gutem Grund widersagen möchten.




Ungerechtfertigte Bedingungen für eine Befriedung Weiterhin wird mit den Bedingungen in Absatz (1) postuliert, dass ein Ruhen der Jagd auf Grundstücken

I. den Artenreichtum sowie einen gesunden Wildbestand gefährden könnte,
II. zu übermäßigen Wildschäden in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft führen könnte,
III. den Naturschutz und die Landschaftspflege gefährden könnte,
IV. Tierseuchen stimulieren könnte
und
V. eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sein könnte.

Diese Szenarios werden allerdings von Ihrer Seite nicht mit belastbaren Argumenten belegt, sondern stellen vielmehr einen Vorwand dar, um das Ruhen der Jagd auf den Grundstücken von Antragstellern ablehnen zu können. Denn wissenschaftliche Erkenntnisse machen deutlich, dass keines dieser postulierten Gefahrenpotentiale ursächlich mit einem Ruhen der Jagd in Verbindung gebracht werden kann. Darüber hinaus ist eine erneute Abwägung zwischen Allgemeinwohl und unserem individuellen Menschenrecht bei der Antragstellung für das Ruhen der Jagd auf unseren Flächen ohnehin zum einen überflüssig und zum anderen unverhältnismäßig einschränkend, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eben jene Interessen, die mit § 6a (1) berücksichtigt werden sollen, bereits in seine Entscheidung hat einfließen lassen. Das Ergebnis dieser Abwägung ist hinreichend bekannt.

Mangelhafte Zusicherung von Menschenrechten Sollten wir nach all diesen Hürden, die uns für eine schlichte Einhaltung von Menschenrechten in den Weg gestellt werden, letzten Endes ein offizielles Ruhen der Jagd auf unseren Grundstücken erreichen, können wir dennoch nicht beruhigt davon ausgehen, dass unser Menschenrecht gewahrt wird: Denn auch dann kann immer noch eine Jagdausübung angeordnet werden, für welche die Gründe von objektiver und wissenschaftlicher Warte nicht nachvollziehbar sind.

Schlussendlich fragen wir uns, wie eine erfolgreiche Zusicherung von Menschenrechten umgesetzt werden kann, wenn ein Verstoß – sollte sich dieser auch nur “aus Versehen” ereignen – für den Handelnden ohne Folgen bleibt: Denn gemäß der Änderung des Strafgesetzbuches (§ 292 StGB) bleibt es für einen Jäger ohne strafrechtliche Folgen, wenn er auf einem befriedeten Grundstück Tiere erschießt.

Alleine diese Punkte muten äußerst seltsam an, wenn man davon ausgeht, dass die Novellierung des Jagdgesetzes und die damit verbundenen Vorschriften eigentlich im Interesse und für Grundstückseigentümer wie uns, denen eine Befriedung ihrer Flächen aus ethischen Gründen vom EGMR zugesichert wurde, formuliert sein sollten. Unsere Interessen sehen wir hier mehr als nur unzureichend umgesetzt.

Fragwürdiger politischer Entscheidungsprozess Im Sinne eines demokratischen, pluralistischen Entscheidungsprozesses vermissen wir außerdem, dass Sie Ihren Kollegen im Bundestag keine ausreichenden wissenschaftlichen Begründungen mit diesem Gesetzesentwurf zu Verfügung stellen, um in eigener Abwägung zu einer angemessenen Entscheidung hinsichtlich dieser notwendigen Änderung des Bundesjagdgesetzes zu kommen. Vielmehr erweckt dieser Entwurf bei Unbeteiligten, die mit den Hintergründen nicht vertraut sind, den Eindruck als sei das Ruhen der Jagd eine Gefährdung für Natur und Gesellschaft – was de facto nicht der Fall ist, sondern vielmehr das Gegenteil.

In diesem Sinne möchten wir Sie auf diesem Wege dazu anregen, die wesentlichen Punkte Ihres Entwurfes noch einmal aus den notwendigen anderen Perspektiven zu überprüfen und Ihren Kollegen im Bundestag für die 2. und 3. Lesung im Bundestag objektive Hintergrundinformationen darzulegen.

Mit freundlichen Grüßen,