23.09.2015

Gesellschaftsjagd als Tötungs-Happening, Einladung des Ministerpräsidenten

Von Jürgen Heimann, Rotorman’s Blog, gekürzte Version

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke würde wohl kaum auf eine solche von zu viel  Zielwasser beflügelte Schnapsidee kommen. Und wenn doch, er müsste damit rechnen, geteert und gefedert zu werden. In Nauen war unlängst ein Liebespaar von einem Jäger unter Beschuss genommen worden, weil dieser es mit Rehen verwechselt hatte. Der Mann starb, die Frau wurde lebensgefährlich verletzt.


Bis in die Hessische Staatskanzlei hinein reicht das Entsetzen über diesen waidmännischen Super-Gau aber nicht. Daselbst hält Woidkes Amtskollege Volker Bouffier die Stellung. Und er hält nebenbei unverdrossen an seinem Plan fest, ausgesuchte, handverlesene Pirschgänger für den 4. November zu einer fidelen, zünftigen Gesellschaftsjagd nach Groß-Gerau einzuladen.

Eine beispiellose Instinktlosigkeit! Welche Rotte grunzender Schwarzkittel den blondierten Landesvater auch immer geritten habe mag, ein derartiges als Belustigung und Zeitvertreib inszeniertes und von der Landesregierung organisiertes Tötungs-Happening ist einfach ein Anachronismus. Damit hat der prominente CDU-Politiker im übertragenen Sinne einen ziemlich kapitalen Bock und sich selbst ins Knie geschossen.

„Solche Riten passen nicht mehr in die Zeit“  Hessen war, wie uns einst ein alter Polit-Slogan erfolgreich suggerierte, einmal vorne. Da ist man in Niedersachsen inzwischen schon etwas weiter. Das nördliche Flachland hat staatlich organisierte Gesellschaftsjagden längst auf den Index gesetzt, weil, so Landwirtschaftsminister Christian Meyer, „eine auf hochherrschaftlichen Riten aus der Kaiserzeit beruhende Jagd des jeweiligen Landesherrn nicht mehr in die jetzige Zeit passt”.

Die Grünen zum Jagen tragen  Aus selbiger scheint der Hessische Regierungschef aber gefallen. Und: Er trägt mit dieser Baller-Orgie ja ganz nebenbei auch seinen Koalitionspartner zum Jagen. Das von der Grünen Priska Hinz geführte Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sieht sich in diesen Tagen einem bisher nie dagewesenen Sperr- und Störfeuer der Hege-Front ausgesetzt. Und das zielt stellenweise weit unter die Gürtellinie. Die Landesjägerschaft hat Tollwut-gleich Schaum vorm Mund, weil ihr der Entwurf der neuen Landesjagdverordnung gegen den Strich und zu weit geht.

Das Papier dürfte aber nicht überraschend gekommen sein, da (auch) die Jägerschaft von Anfang an in die Beratungen eingebunden war. Unter anderem soll die Bejagung von Füchsen, Mardern, Rabenkrähen und Elstern eingeschränkt werden, während es für die Waschbären aber nach wie vor keine Schonung gibt. Und Lebend- und Totschlagsfallen bleiben ebenfalls legal. Dennoch: Im Endzeit-Szenario der Jäger ist der Frühling bereits verstummt und die Wild- und Graugänse, deren Zahl ins Unermessliche steigt, sind laut schnatternd dabei, ihre Diktatur über die Menschen zu errichten…
Bild: www.Abschaffung-der-Jagd.de

Kotau vor der mächtigen Jäger-Lobby   Jetzt vor dem Hintergrund dieser emotional-aufgeheizten Stimmung (-smache) regierungsseitig zu einer Gesellschaftsjagd zu bitten, zeugt nicht gerade von politischem Gespür. Es sei denn, der “Spaß” ist als Beschwichtigungs-Geste, ja als Kotau vor der mächtigen Jägerlobby zu verstehen: “Seht her, wir sind doch eigentlich auf Eurer Seite!” Das ist die CDU traditionell sowieso, auch weil sich in ihren Reihen überproportional viele Jäger tummeln.
Aber dass  bezeichnenderweise ausgerechnet Beamte jenes von einer Grünen geleiteten Ministeriums, das nun im Zentrum der Jägerkritik steht, mit der Organisation dieses fragwürdigen Events betraut wurden, ist fast schon grotesk. Vermutlich die Rache dafür, dass die Ökos in den seinerzeitigen Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hatten, die ein oder andere Spitze im sehr großzügig gehaltenen Hessischen Jagdrecht zu brechen.
Umstritten, unpassend, geschmacklos  Solche Auswüchse, wie sie sich in Groß-Gerau abzeichnen, versteht die Hessische Landesregierung nun mal auch unter Natur- und Tierschutz – und unter Charity. Ja, richtig gelesen. Charity! Der Gipfel des Zynismus’ ist, dass die Bouffiers umstrittene Gesellschaftsjagd auch noch als Wohltätigkeits-Aktion verbrämt und “verkauft” wird. Schließlich ist der Reinerlös des Schlachtfestes für einen guten Zweck bestimmt. Im Rahmen des abschließenden “Schüsseltreibens” im feudalen 5-Sterne-Schlosshotel Kronberg (man gönnt sich ja sonst nix)  wird höflichst um eine Spende gebeten. Bestimmt ist sie für die Elly Heuss-Knapp-Stiftung. Sie ist Trägerin des Müttergenesungswerkes. Dafür müssen dann schon mal einige andere Mütter (und Väter) dran glauben. Aber es sind ja nur welche aus dem Tierreich…

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