03.12.2015

Tierleid - wann wird die Kirche Stellung beziehen?

Schreiben vom 8.11.2015 von Maria Groß, Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e.V., an  Dr. Silvia Katharina Becker, Hörfunkbeauftragte d. dt. Bischofskonferenz

Sehr geehrte Frau Dr. Becker,

durch Zufall habe ich Ihre heutige Sendung „Am Sonntagmorgen: Albert Schweitzer und die Ehrfurcht vor den Tieren“ im Deutschlandfunk gehört und war heftig überrascht, dass vonseiten der katholischen Kirche nun doch einmal ein Wort zu diesem Thema kam.

Ich war bewegt davon, dass Sie so schön gesprochen haben – genau in dem Sinne, den wir Tierschützer/innen uns schon längst vergeblich von der Kirche gewünscht haben. Ihrer Rede konnte ich wirklich bei jedem Wort zustimmen. In Anlehnung an Albert Schweitzer haben Sie mit feinem Gefühl genau den Punkt getroffen: die Ehrfurcht vor den Tieren.

„Wie bitteschön“, höre ich gleich die katholische Stimme meiner Kindheit sagen, „es sind doch nur Tiere. Sie stehen so unvergleichlich viel tiefer als wir Menschen. Nur den Menschen gilt das Erlösungswerk und nur sie sind die Kinder Gottes.“ Ich weiß sogar aus längst abgelegter katholischer Vergangenheit, dass Tiere „keine Seele“ haben und dass es rechtens ist, sich ihrer zu bedienen.

Diese Geisteshaltung hat viel Böses angerichtet. Wir leben in einem Land, in dem Milliarden Puten, Schweine, Rinder, Kaninchen, Enten, Gänse - alle aufs Wunderbarste ausgestattet mit „Leben, das leben will wie wir“ - für unsere Gier nach Fleisch in dunklen Hallen dahinsiechen. Aus den glitschigen Spaltenböden stechen die Ammoniakdünste und zerfressen die Lungen der intelligenten und lebensfreudigen Schweine. Milliarden von Masthühnern, Puten usw. stehen im eigenen Kot ohne Bewegung, ohne Sonnenlicht, ohne auch nur annähernd ihre artgemäßen Wünsche ausleben zu können.

Als aktive Tierschützer sahen wir bei unseren Tierschutzaktivitäten Tausende von gequälten, zerrupften Hühnern mit abgeschnittenen Schnäbeln in viel zu engen Käfigen auf Drahtgittern ihr kurzes Leben fristen.

Wir sahen Rinder und Schweine, die brutal und trotz Verbot mit dem Elektrostab zur Schlachtung getrieben wurden und dann, mehr oder weniger betäubt, jedenfalls zum Teil noch zappelnd zerteilt wurden.

Die Geisteshaltung der Kirche hat viel Böses angerichtet

Wir sahen Schweinemütter in der „eisernen Jungfrau“, die die meiste Zeit ihres Lebens kaum aufstehen, geschweige denn sich umdrehen konnten. Wir sahen Kühe, die nach ihren Kindern weinten, weil man sie ihnen schon am ersten Tag wegnahm, um selbst an die Milch zu kommen und Kälber, die brutal auf Lastwagen verladen wurden, um auf elenden Tiertransportern quer durch Europa und darüber hinaus eine qualvolle Deportation zu erleiden.

Wir sahen Fische, die lebend und das Maul weit aufreißend, auf den Märkten in der Sonne feilgeboten wurden oder ebenfalls noch lebend, zu Tausenden in Kisten verpackt und abtransportiert oder lebend auf dem Markt zerteilt wurden. Wir kennen Hunde, die in der Mülltonne gefunden wurden und könnten noch Seiten füllen mit schrecklichen Dingen, die unseren Brüdern und Schwestern, den Tieren, alltäglich angetan werden.

Für jedes Schnitzel gibt es ein Leben zuvor, und es war schrecklich und grausam von Anfang bis zum Ende.

Wenn wir Tierschützer daran verzweifeln, dass den christlichen Kirchen das Leiden, das wir Menschen über die Tiere bringen, schlichtweg egal ist, dann sind Sie persönlich ganz sicher nicht die richtige Adresse für Kritik. Aber wir fragen uns natürlich, wann wird die Kirche denn, über Einzelfälle hinausgehend, endlich laut und eindeutig Stellung beziehen? Wie lange soll die Qual der Geschöpfe Gottes weitergehen, bis die Amtskirche sich dazu bemüßigen wird, dieses Thema so öffentlich und selbstverständlich wie andere Themen zu bewegen? Wo bleibt der Barmherzige Samariter, der das Leiden erkennt und handelt?

Dabei sind alle christlichen Kirchen gleich. Wir haben 3 volle Jahre mit einem intensiven Schriftwechsel darum gerungen, eine persönliche Vorsprache zu diesem Thema bei Bischof Huber zu erhalten. Beim Kirchentag erhielten wir hunderte von Unterschriften für unseren Appell an ihn. Schließlich wurden uns genau 15 Minuten zugestanden, unser Anliegen vorzubringen. Eine Resonanz haben wir noch nicht gehört. 

Es gibt viele Ausflüchte, die die Menschen erfinden, um nicht Ehrfurcht oder Mitleid vor der Kreatur haben zu müssen. Sie sagen: Die Tiere merken das nicht - oder etwas Ähnliches. Die Wissenschaftler sagen, man müsse erst weiter erforschen, ob ein eingesperrtes Tier, dem jedes artgerechte Verhalten verboten wird, wirklich darunter leide. Andere sagen einfach, es gäbe Wichtigeres.

Wir können es der katholischen Kirche nicht ersparen: die christliche Tradition hat unsere westliche Geisteshaltung geprägt – was für die Tiere zum Horror wurde. Zugegeben: die Sache ist für die Kirche ja nicht so einfach. Denn wenn sie die Ehrfurcht vor den Tieren ernst nähme, was müsste die Kirche tun?

Sie müsste ihre Mitglieder aufrufen, ihren Fleischkonsum hochgradig zu überdenken, (womit wir gleichzeitig viel Gutes für Klima, Umwelt und die Menschen in den ärmeren Ländern täten). Sie müsste das Unrecht, das Gottes Geschöpfen angetan wird, beim Namen nennen und würde riskieren, dass diejenigen, die das nicht hören wollen, sich von ihr abwenden, wozu im Falle der Kirche ganz sicher auch ein großes, finanzstarkes Klientel gehörte. Hier könnte die Kirche aber „Rückgrat“ beweisen und Glaubwürdigkeit gewinnen.

Die Menschen müssten auch über ihre Selbstverständlichkeit nachdenken, mit der sie die Tiere milliardenfach zu Versuchszwecken greifen. Wie ist es mit der Ethik, die nach Albert Schweitzer „keinen Unterschied zwischen wertvollem und weniger wertvollem Leben“ macht? Wenn wir denn, unserem großen Vorbild folgend, eine solche Unterscheidung ablehnen, müssten wir die tierfreie Forschung vorantreiben und nicht immer wieder die menschliche Überlegenheit ausspielen.

Darüber hinaus müssten wir uns im Sinne von Christian Morgenstern verhalten, der sagte: „Ganze Weltalter voll Liebe werden notwendig sein, um den Tieren ihre Dienste und Verdienste an uns zu vergelten.“

Es gäbe also viele Gründe und es wäre an der Zeit, dass die Kirche „den Mund auftut für die Stummen“. Es wäre an der Zeit, dass sie nicht nur in Einzelfällen Stellung bezieht und dass die Auseinandersetzung mit dem Thema und seiner Vielschichtigkeit offiziell von den Kanzeln gepredigt wird und dass die Kirchen ein praktisches Beispiel geben, eine neue Einstellung im Alltag zu leben.

Die Kirchen nehmen sich das Recht, bei allen gesellschaftlich relevanten Themen mitzureden. Warum nur halten sie sich bei diesem wichtigen Thema heraus?

Um auf Sie, sehr geehrte Frau Dr. Becker, zurückzukommen: wir möchten Sie mit unserem Brief ermutigen, damit fortzufahren, Ihre feine Haltung den Tieren gegenüber öffentlich zu bekennen und sie in die Gesellschaft, besonders aber in Ihre Kirche hineinzutragen. Dort wird Ihr Gedankengut schrecklich vermisst.

Mit freundlichen Grüßen
Maria Groß

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