Das Interview mit dem Vorsitzenden von Wildtierschutz Deutschland e.V. führte Susanne Faschingbauer von der Zeitung „Mittelbayerische“, Schwandorf
Herr Kauertz, Ihre These lautet: Je mehr Jagd auf Wildschweine gemacht wird, umso stärker vermehren sie sich. Wie kommen Sie darauf?
Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Langzeitstudie. Ein Team rund um die Wissenschaftlerin Sabrina Servanty hat 22 Jahre die Vermehrung von Wildschweinen in einem französischen Departement erforscht. Das Ergebnis: Starke Bejagung führt zu einer deutlich höheren Fortpflanzung und stimuliert die Fruchtbarkeit bei Wildschweinen.
Fortpflanzung durch Abschuss – wie soll das möglich sein?
Wildschweine leben in Rotten zusammen, die ein ausgeprägtes soziales Gefüge darstellen. Zusammengehalten wird die Rotte durch ein weibliches Leittier, die Leitbache. Durch die sogenannte Rauschsynchronität sorgt sie dafür, dass die Bachen einer Gruppe gleichzeitig fruchtbar sind und nicht bereits ältere Jungtiere Nachwuchs bekommen. Wird die Leitbache erschossen, zersprengt dies die Rotte, die Tiere vermehren sich völlig unkontrolliert. In Gebieten, in denen wenig Jäger unterwegs sind, ist die Vermehrung der Wildschweine deutlich geringer, die Geschlechtsreife bei den Bachen tritt später und erst bei einem höheren Durchschnittsgewicht ein.
Die Schäden in der Landwirtschaft sind immens. Wie sonst, wenn nicht durch Jagd, kann man dem Problem begegnen?
Die Intensivierung der Jagd, wie wir sie seit Jahren erleben ist kontraproduktiv. Die Bestände gehen nicht zurück, sie steigen! Vernünftige Ansatzpunkte wären a) zur Ansitzjagd zurückzukehren und Bewegungsjagden zu unterlassen, b) ältere Tiere und insbesondere Leitbachen zu verschonen, c) jegliche Fütterung zu unterbinden, d) punktuell, z.B. in Gebieten mit nachweislich hoher Wildschweindichte, mit Empfängnisverhütung entgegenzuwirken.
Kondome an Keiler? Bache mit Frischlingen. |
Wollen Sie Kondome an Keiler verteilen?
Es gibt bereits EU-zugelassene Impfstoffe, welche die Fortpflanzung sowohl bei männlichen wie bei weiblichen Tieren unterbinden.
Und dieser Impfstoff wartet auf seinen Einsatz?
Nein, noch gibt es ungeklärte Fragen. Man müsste in eine etwa 3-jährige Forschung investieren, um herauszufinden wie die Wildschweine genau darauf reagieren. Das Projekt scheitert bisher an der fehlenden Finanzierung. Es gibt wohl zu viele Vorbehalte – sowohl in den Ministerien als auch bei den Jägern. (sf)
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